Gedankenverloren ritt sie zu Lukas, dem Bankier. Das viele durchforsten von Norkas Wald hatte sie nicht nur erschöpft, sondern auch hungrig gemacht. Ihre Hoffnung, dass sich ihre Gedanken lichten und für Klarheit sorgen würden, hatte sich leider nicht erfüllt. Sie sollte wirklich in der Bibliothek nachforschen…
Eine melancholische Melodie ertönte über den Vorplatz der Wechselstube und als Fray von ihrem Käferchen abstieg entdeckte sie den Flötenspieler hinter dem Baum am Brunnen sitzend. Er kam ihr durchaus bekannt vor. Lächelnd lief sie zu ihm hin, hatte sie ihn schon eine kleine Weile nicht mehr gesehen und sie wollte ihm doch gern von ihrem seltsamen Traum erzählen.
Robert begrüßte sie irgendwie seltsam, irgendetwas hatte sich verändert. Doch das Gespräch wurde noch sehr viel seltsamer, er schien ihre Träume geteilt zu haben. Wusste er doch auch von ihrer Gaststätte am Stadttor, dem „Kleinen Mongbat“. Und wusste ebenfalls um ihr Traumhaus, dem Bauernhof bei Freienfels. Aber sein Traum hatte er intensiver und detailreicher in Erinnerung behalten und erzählte ihr noch so manche seltsame Geschehnisse, Chaos und Zerstörung, aber auch um ihre gemeinsame Liebelei….
Sie trieb das Beil kraftvoll in den Stamm des dicksten Baumes in dem dichten Wald von Freienfels. Schweißperlen tropften von ihrer Stirn, doch bemerkte sie es nicht. Mechanisch waren ihre Bewegungen während sie grübelte und doch keine Erleuchtung fand. Die Eiche war störrisch und gab nur widerwillig ihr Holz frei, nur wenige Späne lagen um den Stamm herum.
Keuchend ließ die rote das Beil sinken, schmetterte es gegen den Stamm und sank wutschnaubend zu Boden. Was war nur geschehen? Warum erinnerte sie sich nur an scheinbar Belangloses? Sie kroch zum Baumstamm und lehnte sich dagegen. Ihr Käferchen stand in der Nähe und würde sie beschützen, wenn ein Troll auftauchen würde. Sie schloß die Augen und ließ das Treffen mit Robert Revue passieren…
Langsam drängten Bilder der Erinnerung an die Oberfläche und ließen ihr keuchend die Schamesröte ins Gesicht schießen. Ja, sie teilte seine Erinnerung des Traumes. Sie waren ein Paar gewesen, bevor die Chaosjünger tatsächlich Chaos ins Land und das Leben der Bürger brachte. Aber war es ein Traum gewesen? Ein Traum, der in der Zukunft stattfinden würde? Aanso war dort nicht mehr in den Landen gewesen. Aber er lag jetzt in seinem Bett in Meeresblick, wenn auch seltsam im Tiefschlaf. War er sonst eher ein unruhiger Schläfer, rührte er sich in der letzten Nacht überhaupt nicht….
Schnell trat sie den Heimweg an, sie wollte Aanso wecken und ihm berichten. Nun ja, die pikanten Details würde sie besser erst einmal verschweigen, mussten doch schlafende Hunde nicht unbedingt geweckt werden. Stellte sich alles vielleicht als wirklicher Traum heraus, dann wäre er nur unnötig eifersüchtig. Denn Robert war doch nur ein freundlicher, alter Mann, den sie oberflächlich kannte. Unvorstellbar, dass er ihr Herz höher schlagen ließ… oder etwa doch?
In Meeresblick angekommen ließ sie Sphinx im Garten frei krabbeln und warf ihr noch ein paar rohe Rippen zum Fraße vor. Schnell wusch sie sich die blutigen Hände im Fass und eilte dann schnell ins Haus.
„ Alraunenprinz! Ich bin zuhause! Du glaubst ja nicht wen ich gesehen und was ich erlebt habe! Aanso?“ schnell hastete sie durch den Wohnraum hinter die langen Vorhänge und blieb verwirrt stehen. Das Bett war leer. Aanso lag nicht mehr dort, einzig das zerknüllte Laken und die verwurschtelte Decke zeugten davon, dass jemand dort geschlafen hatte. Halbverdeckt vom Bettzeug lag dort eine Pergamentrolle. Schnell zog Fray sie hervor und lächelte erleichtert. War der Herr Knisterfinger einfach nur unterwegs. Sie löste mit ihrem Fingernagel das glatte Siegel und entrollte das Pergament. Mit großen Augen und pochendem Herzen las sie die wenigen Worte, die ganz bestimmt nicht von ihrem Manne stammten. Seltsames stand darauf geschrieben, ohne Unterschrift.
Wo zum Balron war er nur hin? Was hatte es mit den gemeinsamen Träumen von Robert auf sich? Hatte Tabea etwa auch solch Dinge geträumt? Und wo war nun Aanso? Sie stürmte zum Regal und zog die Kiste mit wichtigen Dokumenten hervor. Die Urkunde, welche besagte, dass sie nun Aansos rechtmäßiges Eheweib war fehlte. War sie denn jetzt nicht mehr Fraya Elysia Evano? War sie etwa noch Alodars Eheweib? Was war nur geschehen? Und was war mit Robert? Auch bei dem Gedanken an ihn pocherte ihr Herz wild. Ausgerechnet er war der Leitwolf, Anführer des Söldnerbundes, die gewisse Aufträge annahmen. Die Wölfe…. Alirin… stöhnend schloß Fray bei den Gedanken an ihn die Augen. Auch er hatte eine bedeutende Rolle inne…. Und jene Söldner würde sie beauftragen, hatten sie doch großes Geschick im Aufspüren sonderbarer Dinge und lösen seltsamer Geschehnisse….
Ja, sie müsste ihnen gegenübertreten, aber der Verbleib Aansos und dem rätselhaften Schriftstückes musste gelöst werden….wie auch alles andere….